yesterday was dramatic, today is okay, exhibition with Sophie Meuresch, Elsastr. 14, Leipzig, 2020


Das Zimmer
audio, 4:25 min
Sprecherin: Pola Jane O'Mara



Ich erinnere mich an ein Zimmer. Es gibt ein Bett, einen Nachttisch aus Holz, einen Ventilator, ein kleines Fenster (oben rechts in der Ecke) mit gelben oder weißen Vorhängen. Das Bett ist ein Doppelbett, es hat zwei Kopfkissen und keine Bettdecke. Der Bezug der Kissen ist verwaschen und graublau mit ein bisschen rosa. Die Vorhänge vor dem kleinen Fenster oben rechts in der Ecke sind immer zugezogen und bewegen sich nie. Es sind schöne Vorhänge.

Vom Bett aus gesehen befindet sich das Fenster oben rechts in der Ecke.

1 und 2 sitzen auf der Bettkante. Da 1 und 2 meistens auf der Bettkante sitzen, befindet sich das Fenster meistens oben rechts in der Ecke.

Manchmal steht 1 auf, geht links aus der Tür, den langen Flur entlang und dann rechts zum Waschbecken. 1 dreht den Wasserhahn auf und drei Sekunden (oder drei Minuten) später wieder zu, tritt einen Schritt zurück, dreht sich um, geht den langen Flur entlang und dann rechts durch die Tür in das Zimmer. 2 sitzt auf der Kante des Bettes und schaut geradeaus auf die weiße Wand.

Manchmal steht 1 auf, geht links aus der Tür, den langen Flur entlang und dann rechts zum Waschbecken. 1 wäscht sich das Gesicht oder auch nicht, tritt einen Schritt zurück, dreht sich um, geht den langen Flur entlang und dann rechts durch die Tür in das Zimmer. 2 sitzt auf der Kante des Bettes und schaut 1 an. 1 schaut zurück.

Gelegentlich (und zwar immer dann, wenn 1 zurück in das Zimmer kommt) befindet sich das Fenster oben links in der Ecke. Viel zu schnell jedoch ist es wieder an seinem gewohnten Platz. 1 fühlt sich unwohl dabei, in der Tür zu stehen.

1, auf der Bettkante sitzend, die Hände scheinbar ungezwungen im Schoß gefaltet, legt den Kopf leicht in den Nacken, dreht sich nach rechts und schaut auf das Fenster. 2, dicht neben 1 sitzend, die Hände unter das linke und rechte eigene Bein geschoben (eine Geste, die eher untypisch für 2 ist) legt den Kopf in den Nacken, dreht sich leicht nach rechts und schaut auf das Fenster.

Wie vertraut dieses Bild ist.

Hinter den gelben oder weißen Vorhängen scheint bestimmt die Sonne und bestimmt sitzen Menschen auf Stufen und halten sich an den Händen.

Der Ventilator hängt an der Wand. Wenn 1 und 2 auf der Bettkante sitzen - links von ihnen die Tür und rechts von ihnen das Fenster mit den gelben oder weißen Vorhängen - und den Kopf etwas zur Decke neigen, schauen sie ihn direkt an. Da sie meistens auf der Bettkante sitzen (und meistens schweigen, aber das ändert nichts), schauen sie sehr oft den Ventilator an. Manchmal steht 2 auf, geht zur Wand und stellt den Ventilator von Stufe 1 auf Stufe 3 oder von Stufe 3 auf Stufe 1. Stufe 2 überspringt 2 immer.

(Ich erinnere mich an einen sehr beißenden Geruch.)

In diesem Zimmer, in dem es ein Bett gibt und zwei Kopfkissen und keine Bettdecke und einen Ventilator und ein Fenster mit gelben oder weißen Vorhängen, in diesem Zimmer, in dem 1 und 2 immer auf der Bettkante sitzen und immer schweigen, riecht es.

2 hat vergessen, wonach es riecht.

1 denkt an Körper.

Manchmal, wenn 1 nicht da ist, sitzt 2 da und denkt an 1. 2 denkt dabei nicht sonderlich viel. Alles, was 2 denkt ist „1“. Immer und immer und immer wieder.

Das Denken nutzt sich nicht ab.

Manchmal, wenn 2 nicht da ist, sitzt 1 da und denkt an 2. 1 stellt sich vor, wie 2 auf der Bettkante sitzt, wie 2 aufsteht und zum Ventilator geht, wie 2 das Zimmer verlässt und zurückkommt, wie 2 den Kopf zur Seite neigt. 1 stellt sich vor, wie 2 1 anschaut.

Die Vorstellungen verblassen nicht.



let us stop here, group exhibition, klasse specker, smac, berlin, 2019